Pädagogisch betreute Spielplätze

Gebrauchsanweisung für Eltern für das Produkt Nr. 51.2.1.07 (= pädagogisch betreute Spielplätze)
Seit der Reform des KJHG (Kinder- und Jugendhilfegesetz §78) waren landesweit die Mitarbeiter und Vorstände von Jugendfarmen und Aktivspielplätzen aufgefordert, sich verstärkt mit Produktbeschreibung und Diskussionen um Qualitätssicherung zu befassen. Förderrichtlinien für die Träger der offenen Kinder- und Jugendarbeit mussten von den Gemeinden — auch von der Stadt Stuttgart — neu erörtert werden.
Wird also einer der letzten Freiräume für Kinder auch noch bürokratisiert?
Eine wirklich befremdliche Vorstellung, wo doch „unstrukturierte FREI-RÄUME“ zu den Grundprinzipien der Jugendfarmen gehören! Dennoch hört man mitunter, dass es trotz allem noch Kinder geben soll, denen es einfach Spaß macht, auf die Jugendfarm zu kommen und ihre Zeit dort zu verbringen! „Was machen die Kinder denn da auf der Jugendfarm?“ hören wir immer wieder Eltern und andere Erwachsene fragen. Dazu kommen wir gleich. Doch zunächst: Was hat es mit dem Begriff „Offene Arbeit“ auf sich? „Offen“ bedeutet einen Gegensatz zur Arbeit in festen Gruppen (wie z.B. Schule, Hort, Kindergarten, Sportvereine, usw.). Die Kinder können auf die Jugendfarm kommen, und zwar jedes Kind, das will, wann es möchte — im Rahmen unserer Öffnungszeiten, versteht sich — Angebote wahrnehmen oder nicht, oder einfach nur die Freiräume nutzen, die es hier bei uns gibt.

Ponyreiten, „Kunterbunt übers Geländ3e springen“, ,,naturnah“, „sich austoben“, sind weitverbreitete Vorstellungen von Erwachsenen von einem Abenteuerspielplatz oder einer Jugendfarm. Stimmt! Und neben den vielen Angeboten ist es für die Kinder und Jugendlichen auch mal wichtig, dass NIX angeboten wird, und sie so Eigeninitiative entwickeln können, oder auch mal was „Verbotenes“ tun. „Verboten“ nicht im Sinne von „übler Missetat“, nein, sondern einfach dergestalt, dass sie etwas tun, was in einer solchen Konstellation woanders nicht möglich ist, nicht geduldet wird, an den Vorstellungen der Erwachsenen aneckt. Denn gerade das ist brennend interessant und kann das Selbstbewusstsein stärken. Apropos Vorstellungen der Erwachsenen: auf unserer „Jufa“ wird versucht, die Kinder nicht nur nach den Vorstellungen und den Lehrplänen der Erwachsenen hinzubiegen (und welcher Erwachsene ist nicht immer wieder versucht, dies auszuprobieren), sondern auch die Qualitäten, die im einzelnen Kind oder Jugendlichen verborgen sind, sich entfalten zu lassen. Da kann man freilich auch mit unangenehmen Seiten konfrontiert werden und der Rahmen ist natürlich der, dass anderen, wie auch Tieren und der Platzanlage kein Schaden entsteht. Das will konkret heißen: ein Streich sollte immer wieder drin sein, aber es muss ja nicht gleich Sachbeschädigung oder Gewalt sein, um Spaß zu haben.

Gerade eines fällt Kindern und Jugendlichen unserer Zeit zunehmend schwerer: Auch ohne Konsumangebot zu wissen, was sie jetzt gerne tun wollen, und dies dann umzusetzen. Für diese Kinder gibt es dann Monatsprogramme und für jene Eltern und Erwachsenen, die sich sonst gar nicht vorstellen können, was man so auf der „Jufa“ machen kann. Überhaupt für alle, die ein Problem mit einem „Kreativen Chaos“ haben. Einmal davon abgesehen, dass Monats- und Ferienprogramme fester Bestandteil unserer Öffentlichkeitsarbeit sind.
Die tägliche Praxis ist da bei weitem vielseitiger. „Ställe misten, Ponys striegeln, reiten, schmusen, füttern“ — so wird es den Mädchen einfallen. „Hütten bauen, Lagerfeuer anmachen, Kickern“ kommt gleich unseren Jungs in den Sinn. Zwar können die geschlechtsspezifischen Vorlieben durch Zahlen entsprechend belegt werden — „Mädchenarbeit“,
„Jungenarbeit“ sind Schlagwörter, die den öffentlichen Geldgebern imponieren. Aber die tägliche Arbeit ist weitaus unspektakulärer: immer wieder kommt eine bunte Mischung zustande: Jungs, die begeistert reiten, oder sich um Kleintiere kümmern, Mädchen, die geschickt und ausdauernd ihre Hütte zusammen nageln oder reparieren.
„Wasserrutschen, kochen, werken in der Holz- und Metallwerkstatt, Seifenkisten fahren, Spiele für Geschick und Geselligkeit, am Spielturm klettern, Sport“ und natürlich — unser Farmleben gibt es vor: „Mithilfe bei landwirtschaftlicher Arbeit, Handwerk, Reparatur, Tierpflege“. Hier ist natürlich etwas weniger Raum für das Lustprinzip oder spielerische Elemente
Und doch! Welche Kinder sich für welches „Angebot“ entscheiden werden — wir Betreuer wissen es vorher nicht, haben zwar unsere Vorahnung — oft ist es aber völlig anders. Das macht die offene Arbeit nicht immer leicht und vorausplanbar, dafür aber sehr lebendig. Und, zugegeben, es ist nicht an jedem Tag jede erdenkliche Betätigung der Kinder und Jugendlichen „betreubar“. Andererseits zu denken, alles wäre auch ohne Betreuung machbar, ist, je nach Kindern, bisweilen unrealistisch. Aber oft genug entstehen aus der Not und aus Mangel faszinierende Ideen, die womöglich mehr Wert sind, als ein Angebot zu „konsumieren“. Generell gilt: Das Wichtigste bei vielen Angeboten findet oft „zwischen den Zeilen“ statt. Ein krankes Meerschweinchen liebevoll zu pflegen, eine Freundin, die auf dem großen Gelände etwas verloren hat, zu trösten, voller Eifer Traktor und Hänger beäugen, ob auch alle sin Ordnung ist nach dem Futterholen oder Hüttenbauen im angrenzenden Wald ein Abenteuer bestehen, die Versöhnung nach einem heftigen Streit
Die Betätigungs-, Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten sind so vielfältig, wie das Leben selber. Und dies soll jetzt, ganz im Sinne des Zeitgeistes und im Zuge einer permanent geforderten Professionalisierung alles in eine Produktbeschreibung passen? Produktnummer 51.2.1.07 der Produkt-Börse Baden-Württemberg. Und Betreuer und Vorstandsmitglieder wären demzufolge „Produktmanager“?
Haben sie den Eindruck?
Falls Sie sich nicht haben abschrecken lassen und Appetit bekommen haben, mal wieder auf unserer Jugendfarm vorbeizuschauen: Sie sind immer gern gesehen — sei es als Besucher, als Begleiter Ihres noch nicht 6-jährigen Kindes, oder auch als einer der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer, ohne die die Jugendfarm so nicht in ihrer jetzigen Form bestehen würde! Also, bis bald.
Ihr Hansjörg Traut (Hauptamtlicher Pädagoge)

(Jahr 2000)

Freiberg/Rot e.V. in Stuttgart